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Begleiter in die Neumark

Witnica/Vietz. Studenten der Europa-Universität glauben, eine Marktlücke entdeckt zu haben. Dabei handelt es sich um den individuellen Reisebegleiter für Vertriebene. Ein Semester lang haben sie ihre Marktlücke theoretisch in der Uni erforscht, die praktischen Erfahrungen suchten sie jetzt auf einer Exkursion.

Als die deutsche Stadt Vietz 1945 per Grenzverschiebung zur polnischen Stadt Witnica wurde, da reichte die Vertreibung der deutschen Bewohner nicht aus. Das Deutsche war noch überall auf Grabsteinen, Inschriften und Wegweisern zu sehen – doch nur kurz. Junge Polen wie Zbigniew Czarnuch zogen in ihrer neuen Heimatstadt los und vernichteten die Spuren mit Hammer und Meißel.

40 Jahre später begab sich derselbe Zbigniew Czarnuch auf die Suche nach den letzten Spuren der Deutschen in Witnica. Er sammelte Werkzeuge, Bilder, ja sogar Straßenlaternen, richtete ein Museum ein und war zur Überraschung vieler ein Vorkämpfer für deutsch-polnische Verständigung geworden.

Für die Studenten, die Reisebegleiter für die ehemalige deutsche Neumark werden wollen, ist Czarnuch der richtige Mann. Vor allem weiß er, was einige der deutschen Vertriebenen suchen und worin auch die Studenten ihre Chance als Reisebegleiter sehen – den Anschluss zwischen der deutschen Vergangenheit und der Geschichte nach 1945. Was passierte mit dem Häusern und Dörfern, welche die Deutschen nach dem Krieg verlassen mussten und somit zu Vertriebenen aus ihrer Heimat wurden?

„Uns geht es nicht darum, den Vertriebenen oder ihren Kindern ihre eigene Geschichte zu erklären“, sagt Matheusz Hartwich, Dozent und Mitorganisator der Exkursion. Er und seine Kommilitonen würden ihre Arbeit als Reisebegleiter darin sehen, neben der Geschichte ab 1945 auch das aktuelle Polen zu erklären, Kontakte zu den Menschen herzustellen und offene Fragen zu klären.

Zur Vorbereitung solcher Touren hat der alte Czarnuch drei polnische Zeitzeugen in das Museum von Witnica eingeladen. Fast drei Stunden lang sprechen die jungen Kulturwissenschaftler in kleinen Gruppen mit ihnen. Am Ende steht ein facettenreiches Geschichtsbild über die Zeit in Witnica nach 1945 im Raum und die Erkenntnis, die ein Dozent der Gruppe so formuliert: „In einem Gespräch erfährt man über einen Ort oft mehr, als wenn man stundenlang in ihm herumläuft“.

Die Studenten wiederum diskutieren nun ausgelassen darüber, bei wem die polnischen Sprachkenntnisse ausreichen, auf welche Probleme man stößt und auch ein bisschen darüber, was an Erkenntnissen aus dem Workshop zur interkulturellen Kommunikation anwendbar war.

Diesen hatten sie bereits einen Tag zuvor in Gorzów Wiel-kopolski (ehemals Landsberg an der Warthe) veranstaltet. Dort fanden die zukünftigen Reisebegleiter in einer ehemaligen Reichswehr-Kaserne nicht nur für vier Tage eine Unterkunft, sondern auch einen Seminarraum für sich und die Mediatorin Gundula Gwenn Hiller.

Fast zehn Stunden lang gab es für die Studenten Diskussionen, Gesprächshinweise und Grundsätzliches über Vertriebene mit auf den Weg. Gwenn Hiller hinterfragte gängige Klischees, brachte Beispiele aus ihrer eigenen beruflichen Erfahrung und machte klar, dass es immer auf individuelle Lösungen ankommt.

Der Lokalhistoriker Czarnuch findet die Idee der individuellen Reisebegleitung gut. Aber er weist auch auf Probleme hin. Die sieht er gerade in der Individualität der Anfragen, auf die die Studenten hoffen. „Da müssen sie ganz genau wissen, wo die Archive, Bücher, Lokalhistoriker und Ansprechpartner zu den einzelnen Orten zu finden sind.“ All diese Dinge wollen die jungen Reisebegleiter nun in einem Infopool zusammentragen. Auch will sich jeder auf einen bestimmten Ort in der Neumark spezialisieren.

Dozent Matheusz Hartwich umschreibt einen möglichen Arbeitsauftra so: Ein Vertriebener meldet sich bei dem Verein Transkultura, denn dort sind die studentischen Reisebegleiter organisiert. Es wird ein erstes Treffen vereinbart, Erwartungen und Wünsche werden geklärt, ein Reisebegleiter fängt danach mit der Recherche an und irgendwann geht die Reise los. Das kann ein Tagesausflug aber auch eine mehrtägige Reise sein. Die ersten Anfragen an die Studenten gibt es bereits.

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Text © Benjamin Wuttke, Foto © Caro Mekelburg

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